concrete poetry [serie 08|2024]

WENN DAS DER FÜHRER WÜSSTE II

Nachdem die Erkundung der Kongresshalle fast vier Jahre zurückliegt, kam es 2024 immerhin zu einer kurzen Annäherung an weitere Teile des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg. Dieser Teil widmet sich primär dem Zeppelinfeld, das von Albert Speer als Aufmarschplatz für Hunderttausende geplant wurde. Es besteht aus einem großen Platz, umrahmt von Tribünen mit turmartigen Bauten an drei Seiten, welcher sich an der vierten Seite zu einer tempelartigen, steinernen Haupttribühne öffnet — wobei der Tempelcharakter 1967 durch die Sprengung der Säulengänge, die links und rechts über die ganze Breite den oberen Abschluß der Tribüne bildeten, verloren gegangen ist. Der Zentralbau der Tribüne wurde bis 1945 von einem riesigen Hakenkreuz gekrönt, dessen Sprengung durch die Amerikaner 1945 zu einem symbolischen Akt für die Beendigung der Terrorherrschaft wurde. Auch wenn die Filmsequenz dieser Sprengung quasi zu einer ikonischen Darstellung der Befreiung wurde, ist der Umgang mit den Überresten nationalsozialistischen Größenwahns durch die Befreiten weit weniger eindeutig.

Besonders deutlich wird die Problematik anhand der Nachkriegsnutzung des Geländes und seiner Tribünen. Seit 1947 wird das Gelände regelmäßig als Auto- und Motorradrennstrecke genutzt und firmiert heutzutage unter der Bezeichnung Norisring — auf dessen Website der Ort als „eine Strecke mit Tradition und Zukunft“ verkauft wird. Eine Tradition die natürlich erst 1947 beginnt! Diese gepflegte Ignoranz der Geschichte des Ortes war von Beginn an Programm, platzierte doch der ADAC während der Autorennen in den 1950er Jahren, mit unbeschreiblichem Feingefühl für den historischen Kontext, sein überdimensionales Logo genau an der Stelle, an der bis zu seiner Sprengung das Hakenkreuz den Mittelbau der Tribüne krönte. Darüberhinaus ist auf Fotos von Rennveranstaltungen aus den fünfziger Jahren zu erkennen, daß an den Absätzen des Mittelbaus riesige Werbetransparente von Zweiradherstellern aus Nürnberg platziert waren. Dies mag auf den ersten Blick unverfänglich erscheinen, ist Werbung bei Rennveranstaltungen doch üblich. Betrachtet man aber die dort überdimensional präsentierten Namen der Firmen ergibt sich, vor dem Hintergrund der historischen Bedeutung des Ortes, ein sehr heikles Bild. Auf der nächsten Ebene, unterhalb des über allem thronenden ADAC-Logos, sah man einen ebenso großen „Triumph“ Schriftzug und noch eine Ebene niedriger sprang einem „Victoria“ ins Auge. Dies wird den Erbauern und ihren Anhängern eine späte Genugtuung gewesen sein, vor allem da sie „wahrhaft fanatische Verfechter einer Motorisierung der gesamten Volksgemeinschaft“ (Bastian 2000:98) waren. „Volkskraftfahrt — das ist Kraftfahrt im Geiste des Führers!“ (Aufruf des Deutschen Automobil Clubs zur Automobilausstellung 1934, Bastian 2000:101). Kritisch betrachtet steht das Zeppelinfeld für ein problematischen Versuch sowohl des positiven Umschreibens der Erzählung eines belasteten Ortes als auch eines politisch propagierten Mobilitätsgedankens, ist letzter doch „eine unangenehme Kontinuitätslinie deutscher Geschichte, die wohl deshalb so selten erörtert wird, weil sie noch im heutigen Alltag allenthalben kenntlich ist“ (Bastian ebd.).

Bastian, Till (2000) Das Jahrhundert des Todes: zur Psychologie von Gewaltbereitschaft und Massenmord im 20. Jahrhundert, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen.

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